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Radzu – in Memory

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Wir haben Radzu aus dem Tierheim geholt, aber nie Nähe zu ihm aufbauen können. Radzu hatte rotes Fell, das nie glänzte, er kratzte sich ständig und ließ niemanden in seine Nähe. Er schien eine Hautkrankheit zu haben.
Dann mussten wir umziehen. Das große Haus in Kuala Lumpur ist zu teuer geworden und ich wollte auch endlich mal alleine leben. So nahm ich mir ein kleines Reihenhaus das nur zwei Zimmer, Küche, Bad und einen kleinen Vorgarten hatte, der mehr als Parkplatz als Garten gedacht war. Aber ich hatte kein Auto und somit meinte mein Schwager ich solle Radzu zu mir nehmen. Ich wusste nicht wie das funktionieren sollte, sagte aber trotzdem zu – und fing an mich mehr mit Radzu zu beschäftigen. Anfassen konnte ihn ja keiner, deshalb fing ich an mit Bestechung zu arbeiten. Zu erst warf ich ihm die Wurststücke zu, aber mit der Zeit konnte ich sie ihm vor die Schnauze legen, ohne dass er nach mir schnappte. Dann hielt ich die Wurst in der Hand und rief nach ihm. Er kam zu mir und fraß mir die Wurst aus der Hand.
Bald kam er auch ohne Wurst zu mir. Er blieb neben mir sitzen und schaute mich an. Stolz erzählte ich es meinem Schwager und zeigte ihm, dass Radzu nun auf mich hörte. Er nickte nur. Der Umzug kam, ich hatte alles gepackt, der Umzugswagen wartete und ich rief Radzu zu mir. Mein Schwager war auch da und sagte plötzlich ganz ruhig: „Wir haben es uns anders überlegt, Radzu bleibt bei uns!“ Wow…mein Schwager war eifersüchtig geworden, weil Radzu auf mich hörte. Es tat weh, und ich hatte das Gefühl, einen Freund verloren zu haben.
Das Leben geht aber weiter und ich zog in das kleine Haus ein. Ein Umzug ist viel Arbeit, trotzdem musste ich ständig an Radzu denken, er tat mir Leid. Und dann kam der Anruf: „ Mama, kann ich Dir Radzu bringen? Er biss Tommy zum zweiten Mal und Peter will ihn jetzt weg haben. “
„Er hat Tommy gebissen? Ist es schlimm? “
„Nein, nicht schlimm, kein Blut, keine Wunde…, er schnappte nur ein wenig, weil Tommy ihn am Ohr gezogen hat. Kann ich ihn jetzt vorbeibringen?“
„Klar“, sagte ich glücklich.
Als Radzu kam, nahm ich ihn an die Leine und ging mit ihm bis zum Ende der Straße, wo der Dschungel begann. Wir fielen in dieser Umgebung auf, denn dort lebten vor allem Inder und Chinesen, und wir aber waren als zwei rotblonde Köpfe unterwegs. Ich sprach laut mit Radzu und hatte das Gefühl, dass er mir zuhört. Ich zeigte ihm den Weg zum Wald, der durch einen Kinderspielplatz ging, wo wegen der Hitze tagsüber nie Kinder spielten. Radzu ging neben mir und schien neugierig alles in sich aufzunehmen. Als wir zurückkamen, zeigte ich ihm den kleinen gefliesten Zwischenraum vor der Eingangstür, wo es kühl war und was sein Platz werden sollte. Er konnte von dort immer ins Haus sehen, da wegen der Hitze die Tür immer offen war, wie er auch auf die Strasse gucken konnte. Ein richtiger Wachposten, lachte ich und stellte seinen Fressnapf und seine Wasserschüssel in die Ecke, „Schau Radzu, dies ist dein Platz, dein Reich und diese Fliesen sind kalt, das wirst du mögen.“ Radzu sah mich an, als ob er es verstehen würde.
Am nächsten Morgen wachte ich auf, wickelte mich in ein Sarong und ging sofort um nach Radzu zu sehen. Als er mich sah, stand er auf und streckte sich. Ich öffnete das Gartentor und sagte: „Radzu, in der Früh musst du alleine gehen um dein Geschäft zu machen. Wenn es dann kühler ist, machen wir zusammen einen längeren Spaziergang. Also, gehe bitte jetzt und komm bald wieder, ja?“ Ich schloss das Gartentor auf und trat zur Seite. Er sah mich an und ging langsam die Straße hinunter. Einmal drehte er sich um und sah mich an, dann ging er weiter. Ich ließ das Tor offen und ging in die Küche um mir einen Kaffee zu machen. Am Tisch gegenüber dem Eingang sitzend, wartete ich auf Radzu. In einer entspannten Art und Weise kam er zurück und sah zufrieden aus. An der Türschwelle sah er mich an, als ob er sagen wollte: „Ich habe mein Geschäft gemacht, nun geh du und mache das Gartentor zu.
Glücklich lobte und streichelte ich ihn, und ging das Tor zu schließen: „Es ist fast so, als würdest du alles, was ich sage verstehen. Trotzdem werde ich dich bald mit einem speziellen medizinischen Schampon waschen.“ Da wandte er sich sofort um und ging in seine Ecke. Später wollte ich ihn waschen, aber er zeigte mir seine Zähne. „Okay, dann später, ich gebe dir zuerst was Gutes zu fressen,“ gab ich nach.
Am frühen Abend, als die Hitze sich legte, zeigte ich ihm seine Leine. Er dachte wohl, wir werden spazieren gehen, aber ich band ihn ans Tor und nahm den Wasserschlauch. Ich duschte ihn. Er wagte sich überhaupt nicht zu bewegen. Ängstlich gab er seinen Widerstand auf und ich konnte ihn ordentlich schamponieren. Als er fertig war ließ ich ihn los, er schüttelte sich wie wild und sprang herum. Ich lachte so laut, dass die Nachbarin raus kam, und wir stellten uns vor. Jasmine war Anwältin und hatte auch einen Hund. Sie war Chinesin.
Das spezielle medizinische Schampon wird gegen den Juckreiz helfen. Das wusste ich, aber als ich dann sein getrocknetes, dichtes, rotbraunes Fell sah, war ich sprachlos. Er hatte ein wunderbares Fell und einen schönen buschigen Schwanz. Radzu war eine Schönheit geworden.

Ich war glücklich in diesem Haus, schrieb Astrologie für Leute, die sich dafür interessierten und verdiente sogar ein wenig Geld damit. Radzu saß vor der Tür und beobachtete mich ständig, scheinbar interessiert an allem, was ich tat. Jasmin wunderte sich über Radzu. Er schien sich wie ein Hausherr zu verhalten. Sie lockte ihn mit Wurst, aber er war nicht käuflich. Am späten Nachmittag gingen wir spazieren, ohne Leine und er lief nie weg. Radzu benahm sich wie ein guter Freund, und ich konnte mir ein Leben ohne Ihn nicht mehr vorstellen. Wir waren fast wie ein altes Ehepaar – und die einzigen hellen Köpfe in der Gegend. In der Früh begrüßte ich ihn, öffnete das Tor und sah ihn langsam und würdig die Straße hinunter schreiten, um irgendwo sein Geschäft zu machen. Zurückkommend stand er in der Tür um mir zu sagen, ich solle das Tor schließen – ein Morgenritual, das ich liebte.

Meine zwei Enkel hatten Schulferien, und ich sollte mit ihnen ans Meer fahren. Radzu musste für eine Woche zu meiner Tochter. Als wir zurück kamen, ging ich sofort zu Radzu um ihn zu begrüßen. Er legte sich auf meine Füße, wickelte sich fast rundherum, und winselte und weinte vor sich. Ich weiß nicht wie ich das Gefühl in Worte kleiden soll, aber als ich mich zu ihm bückte und er mich anschaute, war es mir als ob eine Salbe den Schmerz in der Seele besänftigte. Meine Tochter sah das und sagte; „Er saß die ganze Woche vor dem Tor, schaute auf die Strasse und wartete auf Dich. Er kam nie rein.“
Ich liebte meinen schönen, wunderbaren Freund Radzu – und das Leben mit ihm. Er hat mir zwei wunderschöne und ruhige Jahre geschenkt.

Eines Tages dann, wollte er am Abend nicht mit mir spazieren gehen. Ich habe mich gewundert, aber ich wollte ihn nicht dazu zwingen. Am nächsten Tag das gleiche, er wollte nicht Gassi gehen. Auch am dritten Tag nicht und ich fing an, mir Sorgen zu machen. Er sah allerdings nicht krank aus – nur mürrisch und total in sich gekehrt. Am vierten Tage kam der Anruf: „Mutti, Tommy ist krank, ich muss arbeiten, könntest Du nicht kommen und nach ihm sehen?“ „Ja, natürlich, aber ich muss erst mit Radzu raus, denn ich werde wohl spät zurückkommen.“
Radzu ging mit. Am Abend zuvor hatte ich ihn geduscht und er sah sensationell schön aus. Wir gingen durch den Kinderspielplatz und wollten gerade die Straße überqueren, denn auf der anderen Seite erstreckte sich der Wald den Berg hinauf.
Plötzlich sah ich einen silberfarbenen Kombi kommen. Er fuhr sehr schnell, obwohl es dort wegen der Kinder eine 30 km Begrenzung gab. Radzu war in der Mitte der Straße und der Kombi fuhr nicht weniger als 80 km in die Stunde. Wenn ich ihn jetzt zurückrufe, wird er stehen bleiben, dachte ich noch als der Kombi dann auch schon da war. Ich hörte zwei laute Bum, Bum Geräusche und als die hinteren Räder über ihn fuhren noch einmal. Die Welt blieb stehen. Radzu stand wie in Zeitlupentempo auf, sah mich an, machte drei Schritte zu mir – und brach tot zusammen. Alle seine Knochen waren gebrochen. Ich hob ihn auf und hielt ihn auf meinem Schoß. Es war nirgendwo ein Tropfen Blut zu sehen. Es war schwer zu begreifen, dass er tot war. Irgendwann dann rief ich seinen Arzt an um uns abzuholen.
Als ich später wieder denken konnte, ist mir klar geworden, dass der Kombi diese Gegend gut hatte kennen müssen. Ich war wie benommen und wusste nur, dass ich etwas tun muss. Ich nahm ein großes Messer und fing an herumzulaufen um den Kombi zu finden. Ich wollte ihm die Räder zerstechen und die verhasste Silberpolitur beschädigen. Meine Freundinnen machten sich Sorgen um mich und kamen fast jeden Tag zu mir, brachten mir Blumen mit, um mich zu beruhigen – aber ich lief trotzdem eine ganze Woche mit dem Messer durch die Gegend. Am Abend des siebten Tages fuhr er an mir vorbei. Der indische Fahrer hat mich angeschaut – und erkannt. Das konnte ich sehen. Und da gab ich es dann auf.
Radzu wusste, dass er sterben wird, deshalb wollte er nicht Gassi gehen. Er wusste es! Sehr bald danach bin ich dort weggezogen, zurück nach Europa. Ich hatte andere Pläne gehabt, aber ich konnte nicht mehr dort bleiben. Radzu und ich gehörten dort zusammen – für mich alleine gab es andere Orte.

Radzu, ich liebe Dich immer noch und so lange ich leben werde, Deine Nina!

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